Latein

Num discendum Latine? Soll man (mein Kind) Latein lernen?

‘Wo sich diese Frage stellt, haben wohlmeinende Freunde und Bekannte rasch ein Argument zur Hand, das alle Diskussionen zu erübrigen scheint: Es lohne sich doch weiß Gott nicht, sagen sie, eine tote Sprache wie die der alten Römer zu erlernen, eine Sprache, in der sich seit Ewigkeiten kein Mensch mehr ausdrücke” (aus: W. Stroh, Latein ist tot, es lebe Latein!, Berlin 2007, S. 11)

In der Tat – Englisch, Französisch, Italienisch zu lernen – dies bedarf keiner näheren Begründung, der unmittelbare Nutzen liegt schon bei der nächsten Urlaubsreise auf der Hand, wenn man sein “gelato” elegant in der Fremdsprache bestellen kann. Die Vorteile des Lateinunterrichts sind nicht in gleicher Weise evident, daher hier zunächst ein paar Bemerkungen zu der Bedeutung des Lateinunterrichts. Im Anschluss daran stellen wir Ihnen vor, wie das Fach Latein am RNG unterrichtet wird.

Bedeutung des Lateinunterrichts

Latein und Deutsch
Wer Latein lernt und lateinische Texte übersetzt, muss sich auch und gerade über die Gesetze und Besonderheiten der eigenen Sprache immer wieder klar werden. Oftmals werden spezielle Phänomene der deutschen Sprache wie z.B. der Konjunktiv oder die Verwendung der Fälle – “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod” – erst über den Umweg des Lateinischen begriffen. Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit im Deutschen werden durch die Suche nach dem treffendsten Ausdruck beim Übersetzen automatisch erweitert. So stärkt Latein in besonderer Weise die muttersprachliche Kompetenz. Die Fähigkeit, gehobene literarische Texte sprachlich und stilistisch genauestens zu analysieren, die im Lateinunterricht über Jahre eingeübt und verfeinert wird, kommt den Schülern natürlich auch für den Deutschunterricht in der Oberstufe zugute.

Latein und die modernen Fremdsprachen
Latein ist die beste Basis, um sich viele moderne Fremdsprachen anzueignen. Jeder weiß, dass sich ein Großteil des französischen, englischen, italienischen usw. Wortschatzes aus dem Lateinischen ableiten lässt. Ganz gleich, welche der Sprachen zuerst gelernt wird und welche an zweiter oder dritter Stelle – der berühmte “Synergieeffekt” funktioniert in beide Richtungen. Hinzu kommt, dass Latein in der internationalen Wissenschaftsterminologie weiterlebt: “Generell gilt, dass ausnahmslos keine Wissenschaft heute darauf verzichtet, ihren Wortschatz ständig aus dem Schatzhaus des Lateinischen zu erneuern, wodurch dann Latein auch in fremde Kulturkreise (China, Japan, Indien) dringt.” (W. Stroh, S.12)

Latein und Europa

Philosophie und Rechtswissenschaft, Mathematik und die Naturwissenschaften, Religionswissenschaft und Geschichte, Medizin und Architektur – praktisch der gesamte Kanon unserer Wissenschaften ist in der griechisch-römischen Antike grundgelegt; Latein kann mit Recht als “Schlüssel zur Kultur und Geistesgeschichte Europas” gelten – so das Kultusministerium Baden-Württemberg in seiner Elterninformation bezüglich Fremdsprachen an weiterführenden Schulen.
Wer sich in Schule und Studium nicht nur oberflächliches Wissen aneignen will, sondern tiefer fragt: Woher kommt das ärztliche Ethos, das auch heute noch im “Eid des Hippokrates” seinen Ausdruck findet? Wie kann man Recht überhaupt begründen? Wie verhalten sich Natur- und Geisteswissenschaften, Ethik und Technik zueinander? – kommt an den Grundtexten Europas, mit denen wir uns im Lateinunterricht beschäftigen, nicht vorbei.

Latein und die Welt, der Mensch, das Dasein …
Prometheus, Sisyphos, Odysseus – warum tauchen diese (Arche-)”Typen” durch die Jahrhunderte immer wieder in den Werken der bildenden Kunst, der Musik und der Literatur auf? Weil in ihnen Möglichkeiten und Grenzen des Menschen aufscheinen, Freiheit und Schicksal, Chance und Verhängnis. Durch die Beschäftigung mit den Gestalten des Mythos und durch die Lektüre der philosophischen und historischen Texte berührt der  Lateinunterricht Grundfragen des menschlichen Daseins, die da beispielsweise sind:
• der Wert der uns gegebenen Zeit
• der Sinn unseres Daseins
• Freiheit, Schuld und Verantwortung
In Auseinandersetzung mit den Denkmodellen der Antike hinterfragen und klären die Schüler ihre persönlichen Wertmaßstäbe und entwickeln ihren eigenen Standpunkt. Der Lateinunterricht ist somit bildend im eigentlichen und besten Sinne.

Latein am RNG

Latein wird ab Klasse 6 als zweite Fremdsprache unterrichtet.
Die Spracherwerbsphase umfasst die Klassenstufen 6-8; hier arbeiten wir mit dem Lehrbuch “Orberg, Lingua Latina“. Die SchülerInnen begleiten dort eine Familie durch den römischen Alltag in der frühen Kaiserzeit (1. Jh. n.Chr.). Streit unter Geschwistern, ein Sklave, der seinen Herrn beklaut, Besuch vom Arzt nach einem Sturz vom Baum, Ärger in der Schule sind ein paar Themen der Lektionen.

 

In Klasse 9 beginnt die Phase der Übergangslektüre von den Lehrbuchtexten zur Originallektüre lateinischer Autoren, z.B. Cornelius Nepos, Cäsar, Phaedrus, später auch Cicero, Catull, Ovid. Auch eine thematische Lektüre, d.h. Texte verschiedener Autoren zu einer übergreifenden Fragestellung, ist möglich.

Ab Klasse 10 wird überdies in den Gebrauch des Lexikons (Stowasser, Langenscheidt, Pons) und einer Systemgrammatik (z.B. „Durchstarten“ vom VERITAS-Verlag) eingeführt. Die Originallektüre steht in der Kursstufe immer noch im Zentrum des Unterrichts, wobei zu den bereits genannten Autoren wie Horaz oder Vergil hinzukommen. Daneben werden die verschiedenen Methoden der Textarbeit und Interpretation eingeübt und verfeinert, ein wichtiger Bestandteil des Latein-Abiturs.

Sprachqualifikation
Das sog. Große Latinum wird durch erfolgreiches Belegen des fünf- oder dreistündigen Kurses in der Oberstufe mit mindestens 5 Notenpunkten (ausreichend) automatisch erworben und im Abiturzeugnis vermerkt. Das „einfache“ Latinum erhalten die Schüler nach Ablauf der Klasse 10 mit der Note „ausreichend“.

Wer kann Latein lernen?
Oje, kein Lateinlehrer in der Familie – soll ich lieber gleich Nachhilfe buchen? NEIN !

Grundsätzlich gilt: Jeder Schüler, der für das Gymnasium geeignet ist, kann das Fach Latein bewältigen. Latein ist eine Sprache, die nicht leichter oder schwerer zu erlernen ist als andere Sprachen. Im Vergleich zu den modernen Fremdsprachen spielen Aussprache und Schreibweise keine Rolle (es wird gesprochen wie geschrieben). Andererseits ist das genaue Erkennen von Formen unerlässlich.

In besonderer Weise geeignet sind Schülerinnen und Schüler, die

  • genau beobachten und können
  • eine gewisse Disziplin fürs Vokabel- und Formenlernen aufbringen
  • sich mit Ausdauer auf ein Problem konzentrieren und daran herumknobeln können
  • sich für antike Geschichte begeistern können.

Wichtig!: Die oben genannten Fähigkeiten werden vom Lateinunterricht gefordert, aber vor allem gefördert, d.h. man muss zu Beginn des Lateinunterrichts nicht schon alle genannten Fähigkeiten in Perfektion vorweisen, aber Tendenzen in dieser Richtung sind sicher von Vorteil.